Graduiertenkolleg 3064 „Techniken des Bezeugens: Zeugenschaft als mediale und kulturelle Praxis“
Das Graduiertenkolleg untersucht Techniken des Bezeugens in gegenwärtigen Medienkulturen und geht vor dem Hintergrund des digitalen Strukturwandels der Frage nach, auf welche Weise sich Praktiken und Verfahrensweisen der Zeugenschaft verändern: Ob Online-Zeugenvideos oder digitale Bildarchive, forensische Recherchen oder künstlerische Zeugnisse, Theater-Tribunale oder Zeitzeug:innen-Hologramme – diese jüngeren Phänomene formieren sich im Zuge gewandelter technisch-medialer Voraussetzungen, ästhetischer Anordnungen, transkultureller Rahmungen sowie epistemischer und ethischer Problemstellungen und erfordern neu ausgerichtete Forschungsperspektiven.
Die fächerübergreifende Erforschung dieser gegenwärtigen Konstellationen in den Medien-, Kunst- und Kulturwissenschaften soll im Rahmen des GRK ermöglicht, durchgeführt und begleitet werden. Gegenüber der bestehenden Zeugenschaftsforschung nimmt das GRK einen Perspektivwechsel vor: Während bislang vor allem die Zeug:in als singuläre Figur in den Mittelpunkt rückte und damit den Blick anthropozentrisch, aber oftmals auch eurozentrisch engführte, liegt nunmehr der praxeologisch und regional erweiterte Schwerpunkt auf den Techniken des Bezeugens. Das heißt, das Kolleg nimmt vor allem die sozialen, kulturellen, ästhetischen und maschinellen Praktiken und Prozeduren in den Blick, die zwischen Zeug:innen, Zeugnissen, technischen Medien und bezeugenden Öffentlichkeiten als diskursives Gefüge entstehen. Zeugenschaft wird damit relational verstanden: Personale Akte, aber auch Zeugnisse non-humaner Entitäten werden in ihrer konstitutiven Verbundenheit mit technischen Apparaturen, Anordnungen, Infrastrukturen, Umwelten sowie mit kulturellen Kontexten betrachtet. Dabei folgt das Projekt einem breiten Verständnis von Technik, das kulturelle und körperliche Aspekte ebenso einschließt wie maschinelle, mediale und dispositive.
Aus dieser erweiterten Perspektive setzt sich das GRK mit der Frage auseinander, welche Techniken des Bezeugens, d.h. welche medialen und ästhetischen Dispositive, welche kulturellen und ethischen Diskurse sich gegenwärtig herausbilden und inwiefern dadurch das bestehende Verständnis der Zeugenschaft herausfordert wird. Der Klärungsprozess erfolgt in drei Arbeitsbereichen, die sich 1.) den Formationen und Konstellationen des Wissens, 2.) den Prozessen und Anordnungen sowie 3.) den menschlich-apparativen Relationen widmen. Das GRK bietet einen strukturierten, diversitätssensiblen und gleichstellungsorientierten Qualifizierungs- und Betreuungsrahmen für eine kommende Generation von Medien-, Kunst- und Kulturwissenschaftler:innen und soll zugleich Freiräume für eigenständige Forschungswege eröffnen. Das Projekt widmet sich nicht nur einem breiten Untersuchungsfeld, das an bestehende Forschungstraditionen anknüpft und sie neu perspektiviert. Es handelt sich zugleich um ein gesellschaftlich relevantes Thema, das neue Impulse im Wissenstransfer und in öffentlichen Diskursen zu geben vermag.
Weiteres ist nachzulesen in den Pressemittteilungen der
JGU und der
DFG.
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Aufmerksamkeitsstrategien des Videoaktivismus im Social Web
Forscher*innengruppe an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, der Rheinischen Friedrich Wilhelm-Universität Bonn und der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, gefördert aus Mitteln der VolkswagenStiftung
In den Sozialen Medien ist eine neue Macht des bewegten Bildes entstanden: Videos auf Youtube, Facebook, TikTok und anderen Plattformen werden jeden Tag milliardenfach angeklickt, und jede Minute strömen Hunderte Stunden weiterer Bewegtbilder hinzu. Zugleich haben sich Videos zu einem einflussreichen Mittel der politischen Kommunikation entwickelt, weil sie Botschaften schnell und effektiv verbreiten, ihr Publikum emotional bewegen und es zum Handeln motivieren, etwa zum Spenden, Protestieren oder Wählen.
Dass extremistische Organisationen wie der IS und populistische Politiker*innen wie Trump diese Macht bewegter Bilder mit erschreckenden Erfolgen nutzen, wird viel diskutiert. Weniger bekannt ist dagegen der „Videoaktivismus“ zivilgesellschaftlicher Akteur*innen, denen es um demokratische Teilhabe, um humanitäre oder ökologische Anliegen geht. Dazu gehören etwa Einzelpersonen wie Rezo, NGOs wie Greenpeace, Videokollektive wie Leftvision, Künstlergruppen wie Peng!, Bewegungen wie Black Lives Matter oder Fridays for Future.
Um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen und Gegenöffentlichkeiten zu bilden, müssen sie sich in der umkämpften Aufmerksamkeitsökonomie des Social Web gegen Unterhaltung, Propaganda und PR durchsetzen. Dazu entwickeln sie neuartige Strategien der Herstellung und Verbreitung politischer Videos, vor allem aber auch ihrer Gestaltung in neuartigen und vielfältigen Formen, die zu ihrer Verbreitung im Netz beitragen.
Diesem Videoaktivismus aus der Zivilgesellschaft wenden sich Jens Eder (Filmuniversität), Britta Hartmann (Bonn), Chris Tedjasukmana (Mainz) und Tobias Gralke (Bonn/Berlin) zu.
Im Projekt „Aufmerksamkeitsstrategien des Videoaktivismus im Social Web“ (gefördert von der VolkswagenStiftung 2018-2023) untersuchen sie neue Videoformen, Distributionsweisen und Produktionsallianzen in der Konkurrenz um öffentliche Wahrnehmung und politische Wirkung. Am Beispiel des Videoaktivismus zeigen sich Chancen und Risiken Sozialer Medien besonders deutlich. Ein Ziel des Projekts besteht darin, über diese Entwicklungen aufzuklären und zur Medienkompetenz beizutragen.
Die bisherigen Ergebnisse fasst das kürzlich erschienene Buch Bewegungsbilder. Politische Videos in Sozialen Medien (Bertz & Fischer 2020) knapp und verständlich zusammen; erstmals bietet es einen Überblick über das Feld politischer Videos. Auf der Website erscheinen zudem regelmäßig aktuelle Video-Analysen und Informationen für Interessierte.
https://videoactivism.net/de/