Forschung

Dissertationsprojekt: Patriarchale Politiken mit Immersion. Oder: Das Sprechen über die Medien-Immersionen der anderen (AT)

Betreuung: Prof. Dr. Lisa Gotto (Universität Wien), Prof. Dr. Julian Hanich (Universität Groningen)

Voraussichtl. Abschluss: Oktober 2024
Stand: 24.04.2024

Kurz-Übersicht:
Die Arbeit entwirft einen feministischen, kritisch-phänomenologischen, diskursanalytischen Zugang zu vermeintlich omnipotenten Medienerfahrungsbegriffen – besonders zu dem Begriff/der Metapher „Immersion“. Dabei dienen mir die den Begriff umgebenden, nahezu aporischen Theoriekonstrukte zwischen Erfahrungsversprachlichung und verkörperter Erfahrung, sowie meine Frustration über den patriarchalen Gestus seiner „all-inclusiveness“ (McMahan 2003) als Ausgangspunkt, um eine Politisierung von Immersion anzuvisieren. Immersion ist bei aller Kritik an der Normativität binärer theoretischer Konzepte bislang „unschuldig“ geblieben – und das, obwohl er bereits ontoetymologisch auf dem binären Mechanismus ‚Medien-Innen vs. Realität-Außen‘ beruht sowie weitestgehend technikdeterministisch und teleologisch gedacht ist. Ich frage, ob die scheinbar unantastbare Omnineutralität von Immersion nur deshalb möglich bleibt, weil insbesondere Perspektiven der Phänomenologie Immersion bereits früh an Fragen nach befreienden Verkörperungen und emanzipierter Lust angeschlossen haben – ohne ihn damit jedoch zwangsläufig von seiner binären theoretischen Funktionalität und seiner Verhaftung in der neoliberalen Moderne (Mühlhoff 2019) zu lösen. Gegenüberstellungen von (versprachlichten) Erfahrungen wie Immersion vs. Reflexion, aktive vs. passive Nutzer*innen, Bildung- vs. Unterhaltungsinhalte, Zerstreuung vs. Kontemplation usw. sind heute nach wie vor strukturelle Binarismen, die im Zusammenhang mit Immersionskonzepten stark gemacht werden.
Dass Immersion dabei insbesondere eng an das wissenschaftliche Normsystem von Zweigeschlechtlichkeit gebunden ist, will die Arbeit zeigen, indem sie den Fokus weg vom methodischen „Ich“ der Immersionserfahrung richtet und stattdessen ganz zentral auf die Tatsache, dass Immersionsnarrative meistens dazu gebraucht wurden und werden, um Medienerfahrungen anderer, gesellschaftlich ‚niedriger‘ gestellter, „unfertiger Subjekte“ (Steinhauer 2007) zu diagnostizieren und diese damit zu delegitimieren. Dieser Machtgestus ist einer, den ich zentral zwischen je zeitgenössischen Stimmen und retrospektiver Forschung verorte.

Es gibt drei große Kapitel:

Das erste Kapitel untersucht kritisch die zugeschriebenen Immersionen von Frauen und Tieren im Panorama als Werbemaßnahmen in der britischen Tagespresse um 1794 sowie insbesondere deren Fortschreibung in kunstgeschichtlichen Ästhetik-Diskussionen (vgl. stellvertretend Oettermann 1980). Im Fokus steht die Differenz der Bezeichnung des Panoramas als ‚Kunst‘ vs. ‚Medium‘ und die damit einhergehende diskursive – und wissenschaftliche – Zuordnung von bestimmten Betrachter*innen zu bestimmten Rezeptionskompetenzen. Landschaftsmalerei wird dort in seiner stilgeschichtlichen Auffassung als vermeintlich ‚weibliches‘ Genre untersucht und dem anthropozentristischen Gestus panoramatischer Als-Ob-Konstruktionen eine Problematisierung anthropomedialer Differenz (Thielmann 2019) vorgeschlagen.

Das zweite Kapitel schaut auf die Motive und insbesondere auf die machtvollen Rhetoriken zugeschriebener Immersionen von Frauen und Arbeiter*innen mit Film in der deutschen und österreichischen Filmfach- und Arbeiter*innenpresse (1907-1912) sowie deren Rolle für die Etablierung einer genuin ‚männlich‘ bzw. patriarchal geprägten Filmtheorie. Hier zeige ich auch, dass Stimmen von Frauen zum Film aus dieser Zeit – gerade seit der Einführung zunehmend digitaler Archive – viel auffindbarer sind, als weithin behauptet wird. Auf der Suche nach ihnen findet die Arbeit (z.B. bei Vernon Lee, Lu Märten, Rosa Mayreder) ein Verständnis von (immersiver) Filmerfahrung, das vielmehr aus deren Lebenspraxen, Alltäglichkeit, und Gebrauchsformen heraus gedacht ist – und weniger aus ästhetischen Idealen.

Das dritte Kapitel untersucht zunächst die Persistenz derart vergeschlechtlichter binärer Diskurse im Kontext von (früheren und späteren) Internetmythen unter dem Stichwort ‚Social Media Immersion‘. Beispiele liefern die Arbeiten von Sandy Stone, Susanna Paasonen und Margaret Morse und aktuelle Phänomene wie Trad-Wives, That Girls, Digital Detoxes und Manospheres, aber auch jene Videos, die man auf TikTok unter dem Hashtag #immersion findet: vornehmlich weibliche Arbeitsoptimierungspraktiken in China, misogyne Auto-ASMR-Videos und junge Frauen in sogenannten immersiven Ausstellungen. Das Kapitel nutzt die Funde, um das Internet selbst auf die ihm eingeschriebenen Diskriminierungsmechanismen zu fragen. „Are women more likely to become immersed in filterbubbles?“ frage ich die Google Bildersuche, ChatGPT und Stable Diffusion. Mit einer feministischen Kritik am weitläufig verwendeten Begriff der „Bubble“ als technosoziale Verhandlungskategorie digitaler Diskurse steht dann aber zentraler die Frage danach im Zentrum, wo ein feministisches Denken mit Immersion ansetzen müsste, um seine Haftung an veraltete Topoi zu umgehen.

Meine Kritik am Immersionsbegriff ist damit insbesondere eine Kritik an der wissenschaftlichen Weitertradierung von Forschungshaltungen des „otherings“ und der „objecthood“ marginalisierter Gruppen (vgl. Da Silva 2018) – untersucht an der Kategorie ‚Frau‘. Othering-Strukturen im (wissenschaftlichen) Sprechen hängen eng mit einem ‚bürgerlichen‘ Ästhetikverständnis, aber auch mit der prinzipiellen Ausgrenzung weiblicher* Lebensrealitäten aus Theoriebildung zusammen. Dies zu thematisieren, provoziert immer auch sofort methodische, forschungsethische Fragen: Welchen Subjektbegriff legen wir zugrunde? Suchen wir ‚Objektivität‘ in Mikro- oder Makroanalysen? Wie lässt sich Pluralität wissenschaftlich konzeptualisieren? Der Arbeit ist es wichtig, das Gerüst aus diskursiven Normierungen, die den Immersionsbegriff fest umklammern, erst an konkreten Situationen herauszuarbeiten, bevor dann nur erste Vorschläge für einen feministisch fundierten Immersionsbegriff gemacht werden sollen. Für diesen – wie für alle weiteren kritischen Überlegungen stehen mir dann u.a. die Arbeiten von Wissenschaftler*innen wie Sarah Ahmed (2006), Lisa Blackman (2012), Marie-Luise Angerer (2017), Denise Ferreira da Silva (2018), Rita Felski (2020), Lisa Guenther (2020), Sarah Banet-Weiser (2018) und Taina Bucher (2020) Pate.